Geschichte der Pfarrkirche

Baugeschichte

Archäologische Grabungen von 1964 ergaben, dass insgesamt drei Vorgängerbauten dem heutigen Kirchengebäude vorausgehen:

  • um 785 eine erste Saalkirche (A)
  • im 10./11. Jahrhundert eine zweite Saalkirche (B)
  • im 12. Jahrhundert Neubau (dreischiffig) nach einem Brand. (C)

Der heutige Kirchbau wurde in den 1270er-Jahren begonnen und vermutlich außen 1516 abgeschlossen, während die Innenarbeiten bis mindestens 1525 weitergingen. Zu diesem Zeitpunkt wurde das gotische Glockengeschoss auf dem romanischen Turm aufgestockt.

Der Außenbau

Durch den im ausgehenden 13. Jahrhundert begonnenen Neubau entstand eine große, vierjochige Hallenkirche von typisch westfälischer Prägung. Als Baumaterial verwendete man örtlichen Kalkstein und sog. Anröchter Grünsandstein.

Das Westportal (1) mit seiner spätgotischen Fischblasenornamentik wurde vermutlich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in das Mauerwerk hineingebrochen.

Zwei Gedenktafeln (2) des Vellerner Bildhauers Heinrich Gerhard Bücker (1922-2008) von 1951 erinnern an Wilhelm Emmanuel von Ketteler (Kaplan an St. Stephanus von 1844-1846, später Bischof von Mainz) und Johann Bernhard Brinkmann (Kaplan an St. Stephanus von 1839-1853, später Bischof von Münster).

Das nordöstliche Marienportal (3) ist das aufwendigste Portal der Kirche (Fünfpassrosette im Tympanonfeld mit der Nachbildung einer Marienstatue des frühen 14. Jahrhunderts). In früheren Jahrhunderten zog bei Hochzeiten durch dieses Portal die Braut ein (Brautportal).

Die Hallenkirche

An den Wänden der Seitenschiffe befinden sich 14 Kreuzwegstationen (4) des Münsteraner Bildhauers Heinrich Fleige (1840-1890) von 1875. Die zur Zeit des Bismarckschen Kulturkampfes entstandenen Szenen haben laut Kirchenchronik von 1875 auch einen zeitgeschichtlichen Aspekt, denn in die 5. Station sollen versteckt drei zeitgenössische Portraits eingeflossen sein (Pius IX. als Simon von Cyrene, Bismarck als Scherge im Hintergrund, dritte Person heute unbekannt).

Der rückwärtige Teil der Kirche wird durch die quer durch alle Schiffe gespannte hölzerne Orgelbühne (5) und den barocken Orgelprospekt (1721) des Beckumer Orgelbauers Heinrich Mencke bestimmt. Das Werk wird bekrönt von einer Uhr und zwei posaunenblasenden Engeln. Die alte Orgel wurde 1913 durch eine spätromantische, 60-registrige, pneumatische Kegelladenorgel des Orgelbaumeisters Johannes Klais aus Bonn ersetzt. Diese Orgel ist die größte erhaltene ihrer Art in Westfalen. Sie wurde 1983-1984 umfangreich restauriert.

Im Turmjoch (6) befindet sich eine Marienklage sowie ein Gekreuzigter mit Maria und Johannes, Werke des 19. Jahrhunderts. Links neben dem Eingang zum Turmjoch erkennt man ein Marienrelief aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Zwischen Sakristeitür und Choraufgang hängt eine großformatige Darstellung der Taufe Christi (7) aus dem Jahr 1625 von Pieter de Grebber (Haarlem ca. 1600-1652). Von 1840‑1875 diente das Gemälde als Altarbild eines Hochaltares, darunter eine Nische mit der Original-Marienstatue des Marienportals (8).

Der Chor (9) und seine Ausstattung

Die heutige Chorraumgestaltung geht auf eine Renovierung durch den Bildhauer Heinrich Gerhard Bücker zurück, von dessen Hand Altar, Ambo, Vortragekreuz, Leuchter, Priestersitze und der Sockel des Prudentiaschreins stammen. Sein Bibelwerk Bilder des Heiles von 1963 liegt auf einem Pultständer des 19. Jahrhunderts aus.

In halber Höhe der Chorpfeiler und der Ostpfeiler des ersten Joches wurde eine Apostelfolge angebracht (neogotisch ca. 1875). Über dem Altar befindet sich ein Triumphkreuz mit den Evangelistensymbolen an den Balkenenden.

Das mittlere der drei Chorfenster (10) stellt den Kirchenpatron Stephanus dar.

An der südlichen Chorwand befindet sich das Epitaph (Gedenktafel, 11) der Beckumer Famile Kothe (1518) mit dem auf einem Steinsarkophag sitzenden Schmerzensmann, dem zwei kleine kniende Stifterfiguren mit Familienwappen beigefügt sind.

An der nördlichen Chorwand hängt eine geschnitzte Predella (12) (Untersatz einer Altartafel) mit der Anbetung der Könige (Mitte 14. Jh.), einziger erhaltener Rest eines ehemals großen Altarbildes. Sie zeigt den Auszug der Drei Weisen aus einer befestigten, westfälischen Stadt und zugleich ihre Ankunft bei der thronenden Maria. Der ausgestreckte Arm des zweiten Königs deutet auf den heute verlorenen Stern. Besonders genrehaft ist die Figur des Pferdeknechtes mit Reisesack und Dolch, der peitscheschwingend die Pferde aus der Stadt herauszuführen sucht. Daneben sieht man, möglicherweise aus gleicher Werkstatt, zwei Apostelfiguren (als Petrus und Paulus bezeichnet).

Taufkapelle

In der Taufkapelle steht ein achtseitiger, romanischer Taufstein (13) aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Er gehört neben dem der Pfarrkirche in Vellern (2. Viertel des 13. Jahrhunderts) und dem Freckenhorster Taufstein (1129) zu den bedeutendsten Taufbecken des Münsterlandes. Die Bildfelder zeigen die Taufe Christi im Jordan, die paarweise angeordneten 12 Apostel und den thronenden Christus in der Mandorla, umgeben von den vier Evangelistensymbolen Engel (Matthäus), Löwe (Markus), Stier (Lukas) und Adler (Johannes).Vier Apostelpaare stehen auf am Boden gekrümmten Personen, wohl Personifikationen des Bösen. Zwei Apostelpaare und die Taufe Christi stehen dagegen auf dem Tempel Salomos.

Prudentiaschrein (14)

Von allen Kunstwerken der Propsteikirche darf der Goldschrein der hl. Prudentia (um 1230) den Anspruch erheben, das bedeutendste zu sein. Nach Qualität und Größe ist er sogar der hervorragendste mittelalterliche Goldschrein Westfalens. Mit ihrem Schrein wetteiferten die Beckumer mit anderen Schreinen, wie zum Beispiel dem Dreikönigsschrein in Köln (um 1181-1230) oder dem Marienschrein des Aachener Münsters (1220-1238). Den Auftrag zur Erstellung dieses wichtigen Reliquiars übertrug man den Goldschmieden Renfridus, Hermannus und Sifridus, die wahrscheinlich in Osnabrück ihre Werkstatt hatten. Da die Bäckerzunft vermutlich den Hauptanteil der Kosten beisteuerte, wird der Schrein in Beckum auch „Bäckerkasten“ genannt.

Der Schrein (Länge 1,025 m, Breite 0,415 m, Höhe 0,695 m) besteht aus einem Eichenholzkern, der mit Silberblech überzogen ist. Mit Ausnahme des Daches und der Sockelschrägen wurde das Silberblech vergoldet. Auch die Figuren besitzen einen Eichenholzkern, der mit getriebenem und vergoldetem Silberblech bekleidet ist. Die flachen Engelreliefs unterhalb der Dachzone füllte man mit Pechmasse aus. Insgesamt wurden 180 kostbare Edelsteine am Schrein angebracht: Beryll, Saphir, Topas, Malachit, Karneol, Bergkristall, Amethyst, Milchquarz, Jaspis und Lapislazuli. Sie wurden in der sog. Cabochon-Form halbrund geschliffen, um die feurige Glut der Farben besser zum Ausdruck zu bringen. Die Steine wurden erhaben gefasst, so dass das Licht sie auch von unten durchscheinen kann. Am First des östlichen Giebels befindet sich eine Gemme des 8./9. Jahrhunderts. Sie ist mit drei Strichfiguren und einem Stern, eine reduzierte Darstellung der Drei Weisen, verziert. Zierliche Doppelsäulen gliedern die Seitenwände des Schreines in je 6 Nischen an den Längsseiten und je 2 Nischen an den Stirnseiten. Die so gebildeten 16 Nischen enthalten die 12 Apostel, den thronenden Christus, die thronende Muttergottes mit Kind und eine Verkündigungsdarstellung mit Maria und dem Erzengel Gabriel. Kleeblattförmige Arkaden mit filigranen Verzierungen rahmen die Köpfe der heiligen Gestalten. Die Dachflächen des Satteldaches besitzen Schindeln mit einem Lilienmuster. Der First und die Enden des Daches sind mit einem Rankenkamm und drei Knäufen in Form von Granatäpfeln verziert. Die Knäufe besitzen kleine, hochovale Scheiben, die mit Niello gefüllt und mit dekorativen Zier- und Pflanzenmotiven geschmückt sind. Mit ihrer Pracht waren die Schreine dieser Zeit ein Abbild des Himmlischen Jerusalems, wie es in der Geheimen Offenbarung des Johannes beschrieben wird.

Bei den großen Prozessionen wurde der Schrein durch die Stadt zu den im Stadtgebiet liegenden Kapellen getragen. Vor allem aber sollten die fruchtbaren Äcker, die den Wohlstand der Bürger ausmachten, durch das Umtragen der Reliquien gesegnet werden.

Im Zuge der Säkularisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden sämtliche im Schrein aufbewahrten Reliquien entfernt. Der Münsteraner Bischof und ehemalige Beckumer Kaplan Johann Bernhard Brinkmann beschloss Abhilfe. Er hatte 1878 anlässlich seines Rombesuches von Papst Pius IX. Reliquien der Märtyrerin Prudentia überreicht bekommen. Sie bestanden aus den Gebeinen, einem Fläschchen Blut und einer Inschriftplatte mit der Märtyrerpalme. Am 24. Juli 1881 erfolgte die feierliche Überführung der Reliquien nach Beckum und ihre Einbettung in den romanischen Schrein, der seit diesem Tag den Namen Prudentiaschrein trägt.

In unregelmäßigen Abständen werden Führungen durch die Pfarrkirche angeboten. Fragen Sie gerne im Pfarrbüro nach.

Quelle: Auszüge aus dem Kirchenführer von Dr. Martin Gesing
überarbeitet von Dorothee Aymanns und Marianne Pösentrup

Cookie Consent mit Real Cookie Banner